Perspektivwechsel in Fulda: Wenn der Bahnsteig zur Barriere wird
Tunnelblick? Grauer Star? Oder - für die ganz Mutigen - Grüner Star? Die Fuldaer Stadtführung zur Sensibilisierung für die Perspektiven blinder und sehbehinderter Menschen beginnt mit der Wahl der passenden Simulationsbrille. Mit eingeschränktem oder gar keinem Sehvermögen machen sich die freiwilligen Teilnehmer*innen auf durch die Fuldaer Innenstadt. Dabei stehen sie vor völlig neuen Herausforderungen, die für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung aber zum Alltag gehören: Warum endet das Treppengeländer jetzt schon? Wie hoch ist der Buseinstieg? Wieso klackt die Ampel nicht?
Veranstaltet werden die Stadtführungen von Werner Auth, der selbst sehbehindert ist und sich in der Interessengemeinschaft barrierefreies Fulda e.V. für den Abbau von Hindernissen für Menschen mit Behinderung engagiert. Ziel der Entdeckungstour ist es, Menschen einen Einblick in den Alltag von blinden und sehbehinderten Menschen zu geben und sie für die oft unnötigen Hürden und Hindernisse zu sensibilisieren, mit denen Betroffene im öffentlichen Raum konfrontiert werden.
Die Touren haben Erfolg: zumindest bei den Teilnehmer*innen, die mit neuen Erfahrungen und einem veränderten Blick auf die Perspektiven blinder und sehbehinderter Menschen nach Hause gehen. Damit sich auch an den Barrieren in Fuldas Innenstadt etwas ändert, müssten sich die Stadtplaner*innen, Architekt*innen und Politiker*innen einmal die Simulationsbrillen aufsetzen.
Wer spricht?
Fulda von unnötigen Barrieren befreien – das ist die Mission des 54-jährigen Werner Auth. Vor 13 Jahren schloss er sich im Verein „Interessengemeinschaft barrierefreies Fulda e.V.“ (IGbFD) mit behinderten und nicht-behinderten Menschen zusammen. Als zweiter Vorsitzender engagiert Auth sich dort für eine Stadt, in der sich alle Bürger*innen frei bewegen können - unabhängig davon, ob sie zu Fuß, im Rollstuhl oder mit Blindenstock unterwegs sind. Ein Kampf, der oft langwierig und mühsam ist. So habe es allein über zwei Jahre gedauert, die Stadt dazu zu bringen, am Fuldaer Dom ein ausreichend langes Treppengeländer anzubringen. „Wenn ein blinder Mensch sich daran orientiert, fällt er die letzten zwei Stufen hinunter“, sagt Auth aus eigener Erfahrung. Mit zwölf Jahren habe er festgestellt, dass sein Augenlicht nachlässt. Die Diagnose: Retinitis pigmentosa (RP) – eine erbliche Augenerkrankung, die langsam die Netzhaut zerstört und unweigerlich zum Sehverlust führt.
Auch wenn ihm heute nur noch wenige Prozent Sehkraft auf dem rechten Auge bleiben: Sein Engagement bleibt hundertprozentig. Dabei geht es Auth auch darum, seine Mitmenschen für die Belange von Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren. „Wir haben angefangen mit einer Rolli-Challenge“, sagt Auth. Später kam die Blinden-Stadtführung hinzu, bei der Sehende oftmals ihre ersten Erfahrungen mit Blindenstock und Leitstreifen machen.
Ruhe und Kraft findet Auth an einem Ort, an dem man wiederum blinde und sehbehinderte Menschen eher nicht erwartet: In dem unter seiner Wohnung gelegenen Fahrradladen schaut der ehemals ambitionierte Fahrradfahrer regelmäßig vorbei, um einen Kaffee zu trinken und mit dem Inhaber zu scherzen: „Lachen ist ganz wichtig im Leben.“
Blindheit und Sehbehinderung – was ist der Unterschied?
Nach deutschem Recht gilt ein Mensch als sehbehindert, wenn er auf dem besser sehenden Auge mit der bestmöglichen Sehhilfe nicht mehr als 30 Prozent von dem sieht, was ein Mensch mit hunderptrozentigem Sehvermögen erkennt. Kann er nicht mehr als 5 Prozent erkennen, gilt er als hochgradig sehbehindert. Beträgt das Sehvermögen weniger als 2 Prozent, gilt die Person als blind. Einen Eindruck, wie verschiedene Augenkrankheiten, das Sehvermögen einschränken, bietet der Sehbehinderungssimulator des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin.
Infos zur Diskriminierung von blinden und sehbehinderten Menschen
- Dos und Don’ts beim Sprachgebrauch über blinde Menschen
Der Verein „anderes sehen“ gibt Tipps für einen respektvollen und diskriminierungsarmen Sprachgebrauch über die Themen Blindheit und Sehbehinderung.
- Vorurteile über blinde Menschen auf dem Prüfstand
Hören, tasten und riechen sehbehinderte Menschen wirklich besonders gut? Leben Blinde wirklich in Dunkelheit? Der Blog Perspektivwechsel geht auf diese gängigen Annahmen über blinde Menschen ein.
- Rechte von Menschen mit Sehbehinderung
Von den Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention bis zum Diskriminierungsschutz beim Einsatz eines Blindenführhundes: Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) gibt einen Überblick über die rechtliche Situation von blinden und sehbehinderten Menschen.
- Gendergerechte Sprache für blinde Menschen
Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband klärt darüber auf, welche Form der gendergerechten Sprache für blinde Lesende zu empfehlen ist und warum sie das Gendern mit Gender-Sternchen (z. B. Urlauber*in) gegenüber dem Doppelpunkt (z. B. Urlauber:in) bevorzugen.
Engagement in Hessen
Interessengemeinschaft barrierefreies Fulda e.V.
Der Zusammenschluss von Menschen mit und ohne körperliche Behinderung setzt sich ein für Barrierefreiheit, Inklusion und selbstständige Teilhabe in Fulda.
Website: https://www.igbfd.de/
Telefon: 0661 / 8339600
E-Mail: infoigbfd.de
Blinden- und Sehbehindertenbund in Hessen e. V.
Der 1926 gegründete Blinden- und Sehbehindertenbund in Hessen e. V. (BSBH) ist die Selbsthilfeorganisation blinder und sehbehinderter Bürgerinnen und Bürger sowie deren Angehörigen in Hessen.
Website: bsbh-stiftung.de
Telefon 069/15 05 96-6
E-Mail: infobsbh.org
AWO Hessen
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist einer der großen Wohlfahrtsverbände in Deutschland und bietet umfassende Beratungs- und Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderung und viele andere.
Website: https://www.awo-hs.org
Beratungsstellen für blinde und sehbehinderte Menschen in Hessen
- Blickpunkt Auge ist ein Beratungsangebot von Betroffenen für Betroffene. Es richtet sich an Menschen mit Sehbeeinträchtigungen oder mit Erkrankungen, die zu einem Sehverlust führen können. Willkommen sind auch Angehörige und andere Bezugspersonen, sowie Beschäftigte von Behörden, Ämtern oder Einrichtungen und andere Interessierte.
Website: blickpunkt-auge.de/hessen.html
Ansprechperson: Susanne Reith
Telefon: 069 - 15 05 96 76
E-Mail: hessenblickpunkt-auge.de
- Virtuelle Beratungsstelle Blickpunkt Auge: Die Beratungsstelle Blickpunkt Auge gibt es auch als Onlineberatungsstelle. Alle Themen rund um Augenerkrankungen, rechtliche Ansprüche, Alltagsbewältigung usw. stehen Betroffenen, Angehörigen und Institutionen offen.
Website: blickpunkt-auge-hessen.assisto.online/
- Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) unterstützt Menschen in Fragen zur Teilhabe, unabhängig von welcher Schwerbehinderung sie bedroht oder betroffen sind.
Ansprechperson: Bianca Bertrams
Telefon: 069 150596-88
E-Mail: hessen@bsbh-teilhaberatung.org
- Die Servicestelle für blinde und sehbehinderte Bürger der Stadt Frankfurt gibt Informationen und Anregungen zu Fragen rund um die Themen Augenerkrankung, Sehbehinderung und Blindheit und zeigt Ihnen entsprechende Hilfsangebote und Kontaktstellen zur Unterstützung in jeder Lebenslage auf.
Ansprechperson: Bianca Bertrams
Telefon: 069 150596 – 80
E-Mail: b.bertramsbsbh.org
Ansprechperson: Nadine Schöler
Telefon: 069 150596 – 73
E-Mail: n.schoelerbsbh.org
- Die Rechtsberatungsgesellschaft des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e. V. (DBSV) bietet Beratung für alle behinderungsspezifischen Rechtsfragen. Für Mitglieder des Blinden- und Sehbehindertenbundes in Hessen ist die Beratung kostenlos.
Website: https://www.rbm-rechtsberatung.de/
Sprechzeiten in Marburg: Montag und Mittwoch 13:00 bis 17:00 Uhr, Freitag 9:00 bi 14:00 Uhr
Tel.: 0 64 21 / 9 48 44 – 90 oder 91
- Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte ist Anlauf- und Beratungsstelle für blinde und sehbehinderte Menschen im Rhein-Main-Gebiet. Im Rahmen der Beratung werden auch Hilfsmittel (sprechende und/oder tastbare) für Blinde und Sehbehinderte vorgestellt.
Website: https://sbs-frankfurt.de/
E-Mail: infosbs-frankfurt.de
Telefon: 069 - 95 51 24 0
- INKLU-Beratung Hessen ist eine landesweite, unabhängige Koordinierungsstelle für Inklusion und berät auch bei Fällen von Ableismus.
Website: gemeinsamleben-hessen.de/de/inklusive-beratung-und-koordination
E-Mail: beratunginklusion-hessen.de
Telefon: 0 69 / 15 32 55 69
- ADiBe – Antidiskriminierungsberatung Bei Diskriminierung und auch Ableismus können sich Betroffene ebenso an die Antidiskriminierungsberatung ADiBe [https://adibe-hessen.de/de] wenden, dort erhalten sie kostenfreie psychosoziale und juristische Beratung in Diskriminierungsfällen.
Website: adibe-hessen.de/de
E-Mail: kontaktadibe-hessen.de
Telefon: 0 69 / 71 37 56 16